Mode für alle – Vom Studienprojekt zum Start-up-Unternehmen
Auf die Idee kam Sema Gedik durch ihre Cousine Funda. Funda ist kleinwüchsig, und bei Besuchen in der Türkei erlebte Sema Gedik hautnah, wie schwierig es für sie war, Klamotten zu kaufen. Passende Angebote: Fehlanzeige. Kleinwüchsigen Menschen bleibt meist nur, schlechtsitzende Kleider zu kaufen und sie ändern zu lassen. Doch das ist aufwändig, teuer und frustrierend.
Ein Statement für die Modewelt
Dass Sema Gedik für ihr Modedesign-Studium 2015 eine Kollektion für kleinwüchsige Menschen entwarf, sollte ein Statement an die Modewelt sein: So geht inklusives Design. Der Erfolg traf die Studentin unvorbereitet: Mercedes Benz Fashion Week, Medienrummel, Nachrichten von kleinwüchsigen Menschen aus aller Welt. Die sich über die Sichtbarkeit freuten, ihr Mut machten – und ihre Kleider kaufen wollten.
Sema Gedik nahm die Herausforderung an. Im Masterstudium forschte sie zu inklusiver und barrierefreier Mode. Baute sich ein Netzwerk auf. Reiste um die Welt, um bei kleinwüchsigen Menschen Maß zu nehmen. Und entwickelte das erste spezialisierte Konfektionsgrößensystem. Eine fundierte Grundlage schaffen, das ist für Sema Gedik gerade bei innovativen, nachhaltigen Produkten zentral. Allein in die Prototypenentwicklung flossen sechs Jahre:
„Nur schnell, schnell, schnell, das funktioniert nicht. Man muss fokussiert sein.“
2018 gründete sie offiziell ihr Modelabel AUF AUGENHOEHE. Klar, dass in ihrem vielfältigen Team Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten, ob als Designer, Model, Fotografin oder im Community-Management. Denn echte Inklusion bedeutet, dass die Beteiligten aktiv mitwirken können. So entstehen Produkte, die wirklich gewünscht und gebraucht werden. Auch deshalb hat AUF AUGENHOEHE seit seiner Gründung 0 % Retouren.
Mehr als nur sozial
Denn auch wenn der Fokus auf sozialer Nachhaltigkeit liegt, ist Sema Gedik ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Ihr Modelabel soll wirtschaftlich stabil sein und ökologisch verantwortungsvoll handeln. Dafür setzt sie auf fair produzierte Textilien, langfristige Lieferantenbeziehungen und Fertigung in Europa, hauptsächlich in Berlin. Das ist alles andere als trivial. Der Materialbedarf kleiner Modelabels ist vergleichsweise gering, produziert wird in Kleinstmengen oder auf Anfrage. Partner:innen zu finden, die nachhaltige Materialien in diesen Mengen liefern oder verarbeiten – eine Herausforderung. Auch Sema Gedik hat dafür noch keine gute Lösung gefunden. Deshalb hat sie sich mit anderen im VORN – The Berlin Fashion Hub zusammengeschlossen.
Partnerschaften: leichter gesagt als getan
„Man kann nicht alles allein schaffen“,
davon ist die junge Gründerin überzeugt. Doch so wichtig Partnerschaften sind, so nervenaufreibend können sie auch sein. Wie lassen sich Kooperationen effizient gestalten? Wie kooperiert man als kleines, nachhaltiges Unternehmen mit den Großen, ohne seine Seele zu verkaufen? Und treibt dabei den Wandel voran? Auch dafür wollen sie bei VORN gemeinsam Lösungen entwickeln.
„Viele junge, sozial orientierte Unternehmer:innen verkaufen sich unter Wert – so wird es langfristig nur ein Hobby bleiben“,
sagt Sema Gedik. Sie möchte mit großen Unternehmen zusammenarabeiten, um mehr Menschen zu erreichen und mehr Wirkung zu entfalten. Für die Gespräche mit potenziellen Partner:innen wünscht sich Sema Gedik vor allem mehr Ehrlichkeit:
„Viele reden nur über ihre Erfolge. Sie trauen sich nicht, Schwäche zu zeigen und klar zu sagen, wo sie aktuell Hilfe brauchen.“
Aber gerade bei Themen wie Vielfalt, Inklusion und Nachhaltigkeit sollten Unternehmen transparent kommunizieren, intern wie extern. Nur so entsteht Vertrauen.
Für eine Modewelt, die allen offensteht
Mit dem Thema Partnerschaften, ob in der eigenen Lieferkette oder darüber hinaus, wird Sema Gedik sich auch in Zukunft beschäftigen. Denn sie will mit AUF AUGENHOEHE nicht nur zum Marktführer für inklusive Mode werden. Sie will – vor allem durch Kooperationen – auf eine bessere Modewelt hinarbeiten. Eine, die die Bedürfnisse aller Menschen im Blick behält. Dafür müssen Unternehmen soziale und ökologische Nachhaltigkeit zusammendenken. AUF AUGENHOEHE zeigt, dass das möglich ist.
„Natürlich machen wir nicht alles richtig, die Themen sind jung und dynamisch. Wir machen Fehler, wir lernen dazu, wir entwickeln uns weiter.“,
sagt Sema Gedik. Wer so denkt, kann alles schaffen.