Kompass für den Start in Deutschland
Wie holprig ihr Start in Deutschland sein würde, hatte Olga Aktas, Expertin für Public Relations, nicht geahnt. 2012 wanderte sie aus Russland nach Deutschland ein – und ging erstmal im Behördendschungel verloren. „Ich sprach damals kaum Deutsch und war total überfordert“, erinnert sich die Gründerin von Open Deutsch. Zig Behördengänge waren zu erledigen, etliche kompliziert formulierte Dokumente auszufüllen und die Anforderungen für sie undurchsichtig. „Du musst alle Anträge selbst ausfüllen in einer Sprache, die super kompliziert ist, wo nicht mal Muttersprachler verstehen, was verlangt wird.“ Mit tatkräftiger Unterstützung ihres Partners, gelang es Olga Aktas sich durchzuschlagen. Dann fasste sie einen Entschluss: Sie wollte anderen Einwandernden einen besseren Start ermöglichen.
Olga Aktas studiere Kommunikations- und Medienwissenschaften und Deutsch als Fremd- und Fachsprache, gründete dann 2020 gemeinsam mit dem Softwareentwickler Hans-Hermann Bode das Startup Open Deutsch. Die beiden wollten Sprachschulen mit digitalen Lernmanagementsystemen unterstützen, damit Migrant:innen das Ankommen in Deutschland erleichtern. Dann jedoch kam die Corona-Krise, bereits festgezurrte Kooperationen wurden aufgekündigt. „Wir haben uns gefragt, was wir mit unserem Lernmanagementsystem sonst noch tun können, was gut ist für die Welt.“ So entstand die Idee, direkt an Unternehmen heranzutreten, die ausländische Fachkräfte ins Land holen. „Heute arbeiten wir zu 95 % im B2B-Bereich – mit Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland entsenden, mit Bildungseinrichtungen und privaten Universitäten.“ Das Ziel: Kund:innen zu helfen, eine echte Willkommenskultur zu schaffen.
Olga Aktas
Die digitale Integrationsassistentin hilft, Behördengänge zu meistern
„Was wir unseren Partner:innen anbieten, ist Software für die gesellschaftliche und berufliche Integration ihrer Mitarbeitenden und Studierenden“, erklärt Olga Aktas. Unter anderem hat Open Deutsch einen digitalen Integrationsassistenten namens IDA entwickelt.
„IDA zeigt einem, was man tun muss, wenn man nach Deutschland kommt: Ein Visum beantragen zum Beispiel, eine Wohnung finden, sich krankenversichern.“
Zu migrationsspezifischen Fragestellungen sucht das KI-gestützte System Adressen und Telefonnummern heraus, informiert zu Anforderungen und bürokratischen Prozessen. Gleichzeitig lernen Nutzende die Grundlagen der deutschen Sprache. Vieles bietet das Programm dabei situationsspezifisch an. Sucht eine Nutzerin etwa eine Wohnung, vermittelt IDA Vokabeln wie »Nettokaltmiete«, »Schufa-Auskunft«, »Vermieterin«. „So sind unsere Nutzer:innen nicht so abhängig, können Aufgaben selbstständig bewältigen.“ Dabei verknüpft Open Deutsch landesspezifische Inhalte und alltagspraktische Informationen. So erfahren ausländische Fachkräfte nicht nur etwas über Antidiskriminierungsgesetze in Deutschland und wie man sein Kind im Hort anmeldet, sie lernen zugleich berufsspezifische Vokabeln und Situationen kennen.
Auch fachsprachliche Kurse gehören zum Portfolio des Berliner Start-ups. „Wenn ein Elektronikunternehmen Fachkräfte aus Indien einstellt, dann müssen diese das Wort »Zange« kennen und wissen, welche Maßeinheiten in Deutschland üblich sind“, erklärt Olga Aktas.
„Das lernen sie in unseren fachsprachlichen Online-Kursen. Ein bisschen kann man sich das vorstellen wie Sprachlern-Apps, aber eben speziell für Elektronikunternehmen, Busfahrer:innen, Fachkräfte in Hotellerie und Gastronomie.“
Für die maßgeschneiderten Trainingsprogramme greift Open Deutsch auf das Wissen seiner Kund:innen zurück. „Für den Elektronikbereich haben wir zum Beispiel mit der Elektro-Innung Berlin-Brandenburg kooperiert: Was genau müssen die Fachkräfte machen? Mit wem kommunizieren sie? Welche Vokabeln, schriftlichen und mündlichen Textsorten brauchen sie? Das haben wir dann in Sprachübungen übersetzt.“ Nach demselben Schema entwickelt Open Deutsch derzeit Kurse für Berufe in der Holzverarbeitung sowie in den Bereichen Erziehung, Verwaltung und Bürokommunikation. Das Angebot soll kontinuierlich größer werden.
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Ökologische und soziale Nachhaltigkeit auch im eigenen Unternehmen umsetzen
Die Willkommenskultur pflegt Open Deutsch auch im eigenen Unternehmen. Mitarbeitende werden transparent nach Tarif eingestuft und bezahlt, Stellen paritätisch besetzt. „Unsere Mitarbeitenden waren und sind hetero- und homosexuell, zwischen 20 und 60 Jahre alt, mit und ohne Migrationsgeschichte.“ Regelmäßige Fortbildungen und Antidiskriminierungstrainings sind den Gründer:innen ebenso wichtig, wie Datenschutz und Server mit möglichst niedrigem Energieverbrauch. „Zudem beraten wir unsere Kund:innen, wie sie unsere Angebote ressourcenschonend nutzen und nachhaltig in ihrem Unternehmen platzieren können.“ Das Angebot von Open Deutsch soll auch für Kleinunternehmen erschwinglich sein, weshalb kein Online-Kurs teurer als 200 € ist.
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Unternehmen, die neue Mitarbeitende nachweislich gut integrieren, erhalten von Open Deutsch ein Gütesiegel. So ist für ausländische Fachkräfte unmittelbar transparent, auf welche Arbeitgebenden sie sich beim Umzug nach Deutschland verlassen können. Als Start-up, für das die vielbeschworene Willkommenskultur mehr als nur ein Wort ist, reinvestiert Open Deutsch dabei den größten Teil der Erlöse in seine Produkte. „Dass das soziale Unternehmertum nicht so viel Geld bringt, wie ein klassisches Start-up, das man für viel Geld weiterverkauft, ist mir schon klar“, resümiert Olga Aktas. „Das Unternehmen gewinnbringend zu verkaufen, ist aber nicht unser Ziel. Wir wollen Open Deutsch so entwickeln, dass wir eine wirklich nachhaltige Wirkung haben und so vielen Menschen wie möglich helfen können.“ Kürzlich schrieb ein Klient eine E-Mail. Dank Open Deutsch hatte er sich erfolgreich beim Bürgeramt angemeldet. „Da haben wir mit dem ganzen Team gefeiert.“
Diese Tipps gibt Olga Aktas Gründer:innen und jungen Unternehmer:innen, die nachhaltige B2B-Partnerschaften aufbauen wollen:
- Auf jeden Fall Netzwerken: Du weißt nie, über wen Du jemanden kennenlernst, der oder die am Ende Deinen Kunden kennt.
- Kleine Schritte gehen: Ein Konzept für die nächsten fünf Jahre auszuarbeiten, funktioniert meiner Erfahrung nach nicht. Stattdessen sollte man erstmal mit kleinen Dingen anfangen.
- Die Bedürfnisse potenzieller Kund:innen genau analysieren: So vermeidet man, Dinge zu entwickeln, die am Bedarf der Kund:innen vorbeigehen.
- In Mitarbeitende investieren: Wenn ich langfristige Beziehungen zu meinen Mitarbeitenden aufbaue und sie weiterbilde, dann arbeiten sie gerne bei mir, zeigen ihre Zufriedenheit und Motivation auch im Kontakt mit Kund:innen.
- Nicht aufgeben: Soziales Unternehmertum ist nicht einfach. Vor allem, wenn du Ausländer:in, eine Frau, eine Mutter bist und noch tausende andere Sachen zu tun hast. Wenn Du das Gefühl hast, Du kannst nicht mehr, stehst Du aber oft nur einen Meter vor Deinem Erfolg. Gib also nicht auf!