Transparente Zukunft

Um Mensch und Umwelt zu schützen, hat die EU die Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und andere Regularien wie die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) auf den Weg gebracht. In der Folge werden in den kommenden Jahren immer mehr Unternehmen ihre Lieferketten analysieren und offenlegen müssen. Damit der Übergang reibungslos gelingt, sind viele Unternehmen auf Hilfestellung angewiesen – denn alle relevanten Daten entlang der Lieferkette zu bekommen und auszuwerten, ist keine triviale Aufgabe. Über ihre Erfahrungen mit Lieferkettentransparenz berichten die Midsona Deutschland GmbH und das Dussmann Foodservice Innovation Lab.

Ein Glas Schoko-Haselnuss-Creme – etliche Zutaten. Viele davon werden im globalen Süden angebaut, über Zwischenhändler:innen transportiert und weiterverarbeitet, bis sie auf deutschen Frühstücksbrötchen landen. Dass bei Anbau und Weiterverarbeitung Ressourcen geschützt und Menschenrechte eingehalten werden, dafür müssen Unternehmen u.a. in Folge der EU-Gesetzgebung zunehmend Sorge tragen. In vielen Fällen ist hierfür eine lückenlose Analyse von Produktionsschritten und -bedingungen notwendig: Unternehmen müssen Einblicke gewinnen in lokale Arbeitsbedingungen oder die Geodaten landwirtschaftlicher Flächen sammeln.

Nadja Wolff, Head of Marketing bei Seedtrace

Unterstützt wird die Wirtschaft dabei von staatlichen Einrichtungen wie der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die zum Beispiel Fragen zur neuen EU-Entwaldungsverordnung beantwortet. Darüber hinaus greifen der Wirtschaft private Anbieter:innen wie Holocene oder das Berliner Start-up Seedtrace unter die Arme. Sie stellen Lösungen bereit, mit deren Hilfe Kund:innen die für sie relevanten Daten sammeln und aufbereiten, ihre Lieferketten transparent machen können. Die Mitarbeitenden von Seedtrace arbeiten seit 2020 daran, die Anbaubedingungen und Reiserouten von Rohstoffen offenzulegen, insbesondere von Nahrungsmitteln wie Kakao, Kaffee, Nüssen und Tee. Das Ziel: Produkttransparenz zu ermöglichen und gesetzeskonform Risiken in Lieferketten zu identifizieren.

Produkttransparenz als Wettbewerbsvorteil

„Auf unserer Plattform können die Lieferant:innen unserer Kund:innen ihre Daten hochladen, verwalten und von weiteren Subpartnern anfragen“, erklärt Nadja Wolff, Head of Marketing bei Seedtrace. „So entsteht nach und nach ein umfassendes Bild der Lieferkette.“ Je nach Geschäftsmodell erfassen Unternehmen dabei verschiedenste Datenpunkte – von der Größe einer Farm über die Löhne vor Ort bis hin zu Entwaldungsanalysen. Dashboards zur Auswertung der Kennzahlen ermöglichen es Unternehmen, Daten zu vergleichen und Handlungsmöglichkeiten zu erkennen.

„Manche Kund:innen nutzen die Daten ausschließlich für interne Zwecke, viele für regulatorische Anforderungen und für ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung und einige auch für ihre Außenkommunikation.“

Zum Beispiel die Midsona Deutschland GmbH, die die Biomarke Davert vertreibt. „Gemeinsam haben wir uns alle Zutaten von verschiedenen Nussmusen und Nut Buttern angesehen, die Verarbeitungsschritte analysiert und Partner:innen, Lieferant:innen und Sublieferant:innen identifiziert“, erläutert Nadja Wolff. Für die Hauptzutaten Cashews, Mandeln und Erdnüsse stellten die Projektpartner:innen dabei chargenspezifische Rückverfolgbarkeit her. „Wir wissen nun ganz genau, von welchen Farmen eine Lieferung stammt, wann sie im Lager eingegangen ist, verarbeitet und in Gläser abgefüllt wurde.“ Verbraucher:innen, die den QR-Code auf der Packung scannen und das Mindesthaltbarkeitsdatum eingeben, sehen nun unmittelbar, unter welchen Bedingungen die Zutaten angebaut wurden. So können sie nachvollziehen, wo ihre Lebensmittel herkommen und fundierte Kaufentscheidungen treffen.

Verbraucher:innen haben nun mehr Vertrauen

Dass Produkttransparenz nach und nach zum Standard in Europa werden wird, davon ist Heiko Hintze, Leiter des Geschäftsbereich Nordeuropa bei Midsona, überzeugt.

„Wir bringen damit Rückverfolgbarkeit auf ein neues Level und setzen wichtige Impulse im Handel, die über Zertifizierungen hinausgehen. Unsere Lieferant:innen begrüßen die Initiative, denn auch sie bemerken die gestiegene Nachfrage nach Datenerhebung und Transparenz.“

Ein Nebeneffekt laut Nadja Wolff: Das Vertrauen der Verbraucher:innen in die angebotene Ware steigt.

Das Seedtrace-Team

Ähnlich positiv äußert sich Christian Hamerle, der Leiter des Dussmann Foodservice Innovation Lab. Gemeinsam mit den Firmen SoulSpice, Planted und Seedtrace machte dieses jüngst die Herkunft einer pflanzlichen Currywurst transparent. Schon bald soll sie in deutschen Firmenkantinen serviert werden. „Verbraucher:innenentscheidungen werden nicht nur auf der Grundlage von Inhaltsstoffen und Nährwerten getroffen, sondern zunehmend auch im Hinblick auf die Lieferkette“, so Hamerle. „Unsere tägliche Arbeit in der Gemeinschaftsgastronomie – unter anderem im direkten Austausch mit den Gästen im Restaurant „Ursprung“ des Dussmann-Hauses – bestätigt, dass es für die Menschen immer wichtiger wird, so viel wie möglich über die Herkunft ihrer Speisen zu erfahren.“ Entsprechend ist es Ziel von Hamerle und seinem Team, die Transparenz des Produktportfolios weiter auszubauen.

Transparenz steigert auch die Attraktivität für Geschäftskund:innen

„Manche können es sich am Anfang eines Projekts gar nicht vorstellen, dass sie so tief in ihre Lieferketten schauen können“, sagt Nadja Wolff und lacht. „Aber am Ende ist tatsächlich sehr vieles möglich. Systematisch erhobene Daten können die Unternehmen dann unter anderem für ihre Berichterstattung und ihr Marketing nutzen.“ Zugleich helfe Transparenz beim Risikomanagement und stelle Zukunftsfähigkeit her.

„Wer transparent arbeitet, hat einen Wettbewerbsvorteil und wird attraktiver für B2B-Partner:innen – umso mehr, wenn nach und nach immer mehr Firmen dazu verpflichtet werden, ihre Prozesse offenzulegen.“

Diese Tipps gibt Nadja Wolff Unternehmer:innen, die ihre Lieferkette transparent machen wollen: 
  • Welche Daten wirklich wichtig sind und erhoben werden müssen, kann für jedes Unternehmen unterschiedlich sein. So ist es zunächst sinnvoll, betriebsspezifisch Nachhaltigkeitskriterien zu definieren auf ihre Wesentlichkeit für das Unternehmen zu prüfen – sowohl im sozialen als auch im ökologischen Bereich.
  • Viele Unternehmen wissen nicht, wo sie anfangen sollen und scheuen sich vor der Herausforderung, ihre gesamte Lieferkette zu analysieren. Eine gute Vorgehensweise ist, zunächst auf einzelne Rohstoffe oder ein bestimmtes Produkt aus dem Portfolio zu fokussieren und hierüber in einen ersten Dialog mit Lieferant:innen und Sublieferant:innen zu treten.
  • Daten zur Lieferkette können Unternehmen im Rahmen ihres Marketings nach außen kommunizieren oder erstmal auch nur für interne Zwecke nutzen. Es ist auch möglich, im Verlauf zu entscheiden, welche Aspekte man im Rahmen des Marketings nach außen kommunizieren möchte.
  • Netzwerke sind ungeheuer wichtig, um Expertise zu teilen und Partnerschaften zu knüpfen. Hierbei können auch Mitgliedschaften helfen – zum Beispiel in Verbänden.

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